
Blanc-Gatti. Der Klangmaler
Charles Blanc-Gatti (1890–1966), ausgebildeter Naturwissenschaftler und Musiker, autodidaktischer Maler und Filmemacher aus Lausanne, ist einer der Hauptakteure der «Musikalisierung» der bildenden Kunst. Seine Recherchen führen uns ins Zentrum der fortschrittlichen Utopien der Moderne.
Das MCBA bewahrt über vierzig Gemälde, Arbeiten auf Papier und Zeichenhefte von Charles Blanc-Gatti. Der Erwerb einer Gruppe von neun Gemälden im Jahr 2023 bietet die Gelegenheit, auf den untypischen Werdegang dieses gebürtigen Lausanners zurückzublicken und in die inspirierendsten Werke eines Künstlers einzutauchen, der von der Vorrangstellung des Seh- und Hörsinns überzeugt war.
Drei Jahre vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs lässt sich Blanc-Gatti 1911 in Paris nieder, wo er als technischer Zeichner arbeitet. In der pulsierenden Lichterstadt treffen die künstlerischen Avantgarden aufeinander; insbesondere Orphismus und Futurismus prägen ihn und beeinflussen seine abstraktesten Werke. Nach einem kurzen Aufenthalt in Lausanne, wo er als Modezeichner tätig ist, kehrt Blanc-Gatti in die französische Hauptstadt zurück, um dort von 1924 bis 1936 zu arbeiten. In der Zwischenkriegszeit setzt er die Werke der grossen klassischen, romantischen und modernen Komponisten von Bach, Chopin oder Rimski-Korsakow bis zu Saint-Saëns, Ravel oder Honegger in Malerei um.
Im Jahr 1932 gründet Blanc-Gatti zusammen mit Henry Valensi, Gustave Bourgogne und Vito Stracquadaini die Association des artistes musicalistes (Vereinigung der musikalistischen Künstler). Ihr kurz darauf publiziertes Manifest erregt grosses Aufsehen. Gefördert durch die Fortschritte in Physik und experimenteller Psychologie, führt der «Musikalismus» im Zeitalter der Moderne die Beschäftigung mit Synästhesien und dem Gesamtkunstwerk des 19. Jahrhunderts weiter.
In den folgenden Jahren verbreitet Blanc-Gatti seine Botschaft in so unterschiedlichen Bereichen wie Theater, Werbung oder Film. Er ergründet die dynamische Übertragung der Klangmorphologie, stellt Konkordanzen zwischen Klang- und Lichtschwingungen her und gibt Länge, Frequenz und Bewegung von Schallwellen in grafischer Form wieder. 1933 lässt er seine Idee eines chromophonischen Orchesters für Konzerte mit Lichtprojektionen patentieren. Nach seiner Rückkehr in die Schweiz im Jahr 1936 dreht er Chromophony (1939), die einzige filmische Umsetzung seiner Theorien. In Montreux, wo er sich niederlässt, eröffnet er 1938 ein Studio für Werbetrickfilme.
Im Jahr 1947 übersiedelt Blanc-Gatti nach Verbier und 1952 nach Riex. Bis zu seinem Tod setzt er die figurative Landschaftsmalerei fort, die er seit seiner Jugend betrieben hat. Seine Kirchturm-Serien verbinden Klänge und Farben und erneuern die alpine Ikonografie. 1953 gibt er die Malerei auf und widmet sich fortan ganz seiner Tätigkeit als Propagandist des Musikalismus.
Ausstellungskuratorin: Catherine Lepdor, Chefkonservatorin, MCBA
Publikation: Catherine Lepdor, Charles Blanc-Gatti. Le peintre des sons, Coll. Espace Focus, Nr. 13, (F.)
Charles Blanc-Gatti, "Danse macabre. Saint-Saëns", undatiert. Öl auf Holz, 60,4 x 81,2 cm. Erwerb, 2023. Foto: MCBA