Ausstellungsführer
Gustave Buchet. Accusé de peindre

Einführung

Die Ausstellung veranschaulicht den Werde- gang von Gustave Buchet (Étoy 1888– 1963 Lausanne), einem wichtigen Vertreter der Schweizer Avantgarden des frühen 20. Jahrhunderts. Rund 100 Werke – Gemälde, Skulpturen und kunsthandwerkliche Objekte – zeigen, wie der Künstler seine Suche nach neuen plastischen Lösungen mit Leidenschaft verfolgt.

Bereits in den 1910er-Jahren hat Buchet die Einsicht, dass die Zukunft der Malerei nicht in Genf, in der Nachfolge Ferdinand Hodlers, sondern in Paris liegt. In der französischen Hauptstadt trifft er eine äus- serst lebendige Kunstszene an. Er greift die Neuerungen des Kubismus und Futurismus auf und stellt sie in den Dienst der Darstellung von Rhythmus und Bewegung. In Genf fesselt Dada kurz seine Aufmerksamkeit.

In den frühen 1920er-Jahren findet Buchet zu einer flachen, geometrischen Malerei, die sich der Abstraktion nähert. Die Zwischen- kriegszeit verbringt er in Paris, wo er bald einmal die Grundsätze des von Le Corbusier und Amédée Ozenfant geförderten Purismus übernimmt. In seiner von Lineal und Zirkel bestimmten Malerei entwickelt er eine persönliche Palette klarer, gedämpfter Farben und schafft bemerkenswert aufgebaute und gegliederte Kompositionen. Als allseitiger Künstler betätigt er sich auch in Bildhauerei und Kunsthandwerk und fertigt Entwürfe für Mode und Theater an. Während der Postkubismus in ganz Europa an Schwung verliert, wendet sich Buchet einer gemässigten Abstraktion zu, die sich der Herausforderung einer Rückkehr zur Figürlichkeit stellt. Kurz vor seiner Übersied- lung nach Lausanne im Jahr 1939 knüpft er erneut an Menschentum, Spiritualität und Emotionen angesichts des natürlichen Objekts an. Transparenz und weiche Formen setzen sich nun gegen die Fragmentierung und Durchdringung der Ebenen durch. Sein Spätwerk wird von einer letzten künst- lerischen Erneuerung geprägt, indem er das Diktat der Linie aufgibt, um sich der Suche nach Farbe zu widmen.

Ausstellungskuratorium: Catherine Lepdor, Chefkonservatorin, MCBA, und Paul-André Jaccard, Fondation Gustave Buchet, Lausanne, assistiert von Camille de Alencastro, wissenschaftliche Mitarbeiterin, MCBA

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Raum 1
Rhythmus
Bewegung
Dynamik

Die Anfänge Gustave Buchets sind von einem Hin und Her zwischen Genf und Paris geprägt. Als frisch gebackener Absolvent der Genfer École des beaux-arts, befreit er sich 1910 vom dominierenden Einfluss Ferdinand Hodlers. Sein Lehrer Eugène Gilliard vermittelt ihm die wichtigsten Regeln der Komposition. Er weckt auch Buchets Interesse an Maurice Denis, Vincent van Gogh und sogar dem damals verpönten Paul Cézanne. In der Überzeugung, dass die Zukunft der Kunst in Paris liegt, begibt sich der junge Mann mit seinem Freund Rodolphe-Théophile Bosshard in die französische Hauptstadt. Seine Malerei nimmt farbenfrohe, expressive und symbo- listische Akzente an.

Nach Genf zurückgekehrt, heiratet Buchet Nelly Bovy-Lysberg, mit der er ein Leben führt, das kaum Rücksicht auf gesellschaftliche Konventionen nimmt. Er schliesst sich jungen Malern an, die wie er kräftige Farben und das Impasto schätzen. Gemein- sam gründen sie 1914 die Gruppe «Le Falot». Unter der Leitung von Maurice Barraud stellen sie Akte aus, welche die Bourgeoisie verschrecken. Bald fühlt er sich jedoch in einer Sackgasse.

Im Winter 1916/1917 ist Buchet erneut in Paris. In Montparnasse findet er eine äusserst lebendige Kunstszene vor. Er freundet sich mit dem Bildhauer Ossip Zadkine an, der ihn in den Kubismus und den Futurismus einführt, und begeistert sich für die Dar- stellung von Bewegung, Rhythmus und «universeller Dynamik». Nach seiner Rückkehr nach Genf löst seine futuritische Interpretation einer Grablegung, die er beim Concours Diday präsentiert, Polemik aus. Seine erste Einzelausstellung im Jahr 1919 bestätigt seine Position als An- führer des Futurismus.

Während sich die Dada-Bewegung in Europa ausbreitet, wird Buchet von Walter Serner, einem Freund Tristan Tzaras, angeworben, der die Bewegung in Genf propagiert. Eine Dada-Ausstellung mit Christian Schad im Jahr 1920 und Buchets Teilnahme an einem Grand Bal Dada bringen ihm Schmach ein und verunsichern ihn. Er hat das Gefühl, die Kunst, seine Kunst, verraten zu haben, und begibt sich erneut nach Paris.

Raum 2
Flächigkeit
Geometrie
Präzision

Während der gesamten Zwischenkriegs zeit lebt Gustave Buchet in Paris. Die Epoche ist geprägt vom Wiederaufbau und von der Rückkehr zur sozialen Ordnung. Der Maler findet neuen Schwung, als er sich der zweiten «Section d’Or» anschliesst. Diese 1919 von Albert Gleizes, Léopold Survage und Alexander Archipenko gegründete Künstlergruppe verteidigt die anhaltende Vitalität des Kubismus und vereinigt dessen Erben auf dem Weg zur Abstraktion. Unter ihrem Einfluss wird Buchets Malerei flächig, geometrisch und farbenfroh.

In den frühen 1920er-Jahren diversifiziert Buchet seine Tätigkeit. Er liefert Zeichnungen für die Werbung, das Verlags und Zeitungswesen, die Mode und das Theater. 1924 stürzt er sich mit seiner späteren Frau Marguerite Robert in das Abenteuer des Modehauses Lise Darcy und entwirft Hunderte von Kartons für Hüte, Taschen und Kissen. Ab 1923 zeigen seine «Skulpto- Malereien», dass er diese Erfahrung nutzt, um seine künstlerische Tätigkeit zu überdenken.

Ab 1925 konzentriert Buchet seine Energie erneut auf die Staffeleimalerei. Seine neuen Arbeiten stehen im Zeichen des modernen Geists Fernand Légers und des Purismus, der von Le Corbusier und Amédée Ozenfant in der Zeitschrift L’Esprit nouveau verkündet wird. Er beschränkt seine Themen auf Stillleben und wählt eine sehr persönliche Farbpalette, in der braun-rote Ockertöne dominieren, die im Kontrast zu Weiss, kräftigen Grau- und tiefen Schwarztönen stehen. Seine «Kompositionen» sind durch eine vertärkte Rechtwinkligkeit und die vertikale Anordnung der Objekte gekennzeichnet. Einzig die Art, wie die Objekte und Formen ineinander verschachtelt sind, bringt nun eine gewisse Dynamik mit sich. Das «unveränderliche Objekt» wird fröhlich mit dem weiblichen Körper vereint. Das Bild genügt sich selbst und wird zu einem lebendigen Organismus, den das Ideal einer mathematischen Präzision beherrscht.

Raum 3
Humanismus
Licht
Farbe

Nach der Krise von 1929 wendet sich Buchet einer gemässigten Abstraktion zu. Seine Formen werden weicher. Er verzichtet auf die Fragmentierung und Durchdringung der Ebenen zugunsten von Nebeneinander setzungen und transparenten Überlagerungen. Die Hintergründe werden vereinheitlicht, die Farbpalette hellt sich auf. Die Objekte sind in einem schwebenden Raum angeordnet. Parallel zu seinen Stillleben befasst sich Buchet mit dem weiblichen Akt in einer aufsehenerregenden Serie von Torsi, die auf abstrakte, doch durch Lichteffekte vermenschlichte Formen reduziert sind. Auch die Landschaft nimmt, inspiriert von Reisen in die Normandie, nach Süd- frankreich und Korsika, einen grösseren Raum ein.

Das Jahr 1935 markiert den Beginn einer Umorientierung. Buchet, der von dem tiefen Bedürfnis beseelt ist, wieder an die Spiritualität anzuknüpfen, strebt nach mehr «Humanität» und einer realistischeren Beobachtung der Natur. Wie viele andere Künstler seiner Generation möchte er seine Malerei zur grossen Tradition, zum schönen Handwerk und zur glaubwürdigen Wiedergabe der Körper und Gegenstände zurückführen. Schritt für Schritt beseitigt er willkürliche Ebenen, erweitert seine Farbpalette, führt das Clair-obscur und die Modellierung wieder ein, die eine neue Volumetrie ermöglichen.

Bei Ausbruch des Zweiten Weltkriegs zieht Buchet endgültig nach Lausanne. Sein Privatleben stabilisiert sich, nachdem er Georgette Bron kennengelernt hat, die er 1940 heiratet. In der Schweiz entdeckt man seine futuristische und puristische Produktion erst Anfang der 1950er-Jahre. Manche begrüssen seine Entwicklung,
andere werfen ihm vor, sich für eine konven- tionellere Malerei entschieden zu haben. In diesem Kontext veröffentlicht er den Artikel «Accusé de peindre…» (Angeklagt wegen Malens ). Darin leugnet er nichts und fordert seine Freiheit als Künstler ein. Bis zu seinem Tod im Jahr 1963 bewahrt er seine geistige Unabhängigkeit und setzt seine Erkundungen fort, um den Vorrang der Farbe vor der Linie zu bekräftigen.

Biografie

ÉTOY – GENF, 1888 – 1920

1888
Wird am 5. Juni in Étoy, Kanton Waadt, Schweiz, geboren. Sechs Monate später stirbt sein Vater Auguste, Gründer der Anstalt L’Espérance in Étoy.

1895
Lässt sich mit seiner Mutter und seiner Schwester in Genf nieder. Besucht die klassische Sektion des Collège Calvin.

1905 – 1908
Besucht die École des beaux-arts in Genf; sein Hauptlehrer ist Eugène Gilliard.

1910 – 1911
Erster Parisaufenthalt in Gesell- schaft von Rodolphe-Théophile Bosshard. Besucht die Académie de la Grande Chaumière. Heiratet Nelly Bovy-Lysberg.

1912 – 1914
Nimmt an nationalen Ausstel- lungen und an Ausstellungen der Gesellschaft Schweizerischer Maler, Bildhauer und Architekten (GSMBA, Sektion Genf), und
am 1er Salon genevois, Galerie Moos, teil.

1914
Gründet in Genf, u. a. mit Maurice Barraud und Otto Vautier-Fils, die Gruppe «Le Falot».

1916 – 1917
Zweiter Parisaufenthalt. Besucht die Académie de la Grande Chaumière und die freien Kurse der Académie Colarossi.
Freundet sich mit Charles Chinet, Jeanne Hébuterne und Ossip Zadkine an.

1918
Zeigt seine futuristischen Werke in der Exposition suisse des beaux-arts, Galerie Moos, Genf. Nimmt am Concours Diday, Genf, teil (4. Preis ex aequo für die Grablegung).

1919
Zwei Einzelausstellungen im Salon Néri, Genf. Gründet die futuristische Bewegung A+D.

1920
Nimmt an Dada-Genf teil. Im Februar dadaistische Ausstel- lung mit Christian Schad im Salon Néri.

PARIS, 1920 – 1939

1920
Zieht Mitte März nach Paris. Alexander Archipenko lädt ihn zur Teilnahme an der Wanderaus- stellung der zweiten «Section d’Or» ein.

1922
Nimmt erstmals am Salon des Indépendants teil. Schafft Mode- und Theaterkostüm-Entwürfe.

1923
Lernt Marguerite Robert kennen; beteiligt sich mit ihr an der Gründung der Maison de couture Lise Darcy, für die er unablässig Modekartons entwirft.

1924
Stellt eine seiner «Skulpto- Malereien» im Salon des Indépendants aus.

1925
Entwickelt seine Kunst der Komposition im Geist des Purismus von Le Corbusier und Amédée Ozenfant sowie von Fernand Léger. Nimmt an der Exposition internationale L’Art d’aujourd’hui teil, für die er das Plakat und den Katalogumschlag entwirft.

1926
Erfolg seiner Ausstellung bei Colette Weil, Galerie Mantelet. Schliessung der Maison de couture Lise Darcy. Reist in die Normandie und im folgenden Jahr nach Südfrankreich.

1929
Bedeutende Ausstellung in der Galerie Zak. Heiratet Marguerite Robert.

1931
Aufenthalt in Korsika.

1934 – 1936
Aufenthalte in Südfrankreich.

1937
Ausstellung in der Galerie Drouant, Paris.

1938
Ausstellung in der Galerie du Lion d’Or, Lausanne. Erkun- dungsreise durch die Bretagne.

1939
Ausstellung im Musée Rath, Genf. Zieht bei Kriegsausbruch definitiv nach Lausanne.

LAUSANNE, 1940 – 1963

1940
Heiratet Georgette Bron, die er 1933 in Paris kennengelernt hat. Nimmt wieder Kontakt zu seiner Familie in Étoy auf.

1941
Stellt ab diesem Jahr regelmässig im Salon der GSMBA, Sektion Waadt, aus.

1944
Präsident des Salon 44 im Musée cantonal des Beaux-Arts Lausanne (MCBA). Ausstellung in der Galerie du Capitole, Lausanne.

1945
Präsident des Salon 45 im MCBA.

1946
Die Akte seiner Ausstellung im Museum von Fleurier erregen Unmut.

1951
Erste Werkschau der futuris- tischen und puristischen Jahre in der Galerie du Capitole, Lausanne.

1952
Ausstellung in der Galerie de
la Paix, Lausanne. Veröffentlicht
«Accusé de peindre…» (Angeklagt wegen Malens).

1953
Erhält vom Fonds communal des arts plastiques den Auftrag
für eine Dekoration in der Feuerwehrkaserne in Lausanne, die im folgenden Jahr in Mosaik ausgeführt wird.

1958
Anlässlich seines 70. Geburtstags wird ihm eine Retrospektive im Salon 58 im MCBA ausgerichtet.

1963
Ausstellung in der Galerie Walcheturm, Zürich. Stirbt am
14. Juli in Lausanne. Wird auf dem Friedhof von Étoy bestattet.